Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IFKW)
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Stuiber Heinz Werner †

Ein Nachruf von Heinz Pürer

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Heinz Werner Stuiber, geb. 1940, war von 1985 bis 2006 Professor für Kommunikationswissenschaft in München. Persönlich habe ich ihn erstmals 1985 bei einer Tagung über „Wirkungen der Massenmedien“ an der Universität Erlangen-Nürnberg kennen gelernt. Damals wusste ich noch nicht, dass wir in München Kollegen sein würden,  wo er mit 1. April 1985 seine Professur antrat, ich ein Jahr später. Wir sind im Laufe der Jahre auch Freunde geworden. 

Der Bogen, den das Leben von Stuiber umspannt, beginnt am 17. November 1940 in Mies, einer kleinen Stadt im Sudetenland. Den Vater verliert er im Krieg 1943, zwei Jahre später wird er mit seiner Mutter und zwei Geschwistern nach Franken umgesiedelt. Mit elf Jahren kommt er in das Internat Aufseesianum in Bamberg, wo er 1961 das Abitur erfolgreich ablegt.   

Stuibers beruflicher Werdegang ist ein akademischer (das Wort Karriere hätte er sich, der zeitlebens Selbstzweifel hatte, verbeten). Nach dem Abitur nimmt er in Erlangen das Studium der Wirtschaftswissenschaften, der Soziologie sowie der Politik- und Kommunikationswissenschaften auf. Der Diplomprüfung für Betriebswirte 1968 folgt zunächst eine Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft in Nürnberg, im Weiteren dortselbst als wissenschaftlicher Assistent. 1975 promoviert er bei Franz Ronneberger zum Dr. rer. pol. mit einer pressestatistischen Studie über „Kommunikationsräume der lokal informierenden Tagespresse“. Weitere berufliche Stationen sind zunächst von 1980 bis 1982 Vertretungsprofessuren in Nürnberg nach der Emeritierung Ronnebergers sowie in Bamberg auf den dort neugeschaffenen Lehrstuhl für Journalistik (1982/83).

Mit 1. April 1985 wird Stuiber in der Nachfolge Wolfgang R. Langenbuchers auf die Professur für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen. Im achtsemestrigen Diplomstudiengang Journalistik ist er Vorsitzender des Prüfungsausschusses und verantwortlich für die Kooperation mit der Deutschen Journalistenschule (DJS) München. Mit dessen 2003 erfolgter Umwandlung  einen  nur dreisemestrigen Magisterstudiengang Journalismus (der infolge seiner Überführung in einen viersemestrigen Aufbaustudiengang Master Journalismus nur wenige Jahre bestand) ist er nicht einverstanden. Daher nimmt er den Prüfungsvorsitz auch nicht an, stattdessen den des ab WS 2003 errichteten Bachelor-Studienganges Kommunikationswissenschaft. Stuiber leitet in München ferner das am Institut eingerichtete Praxisreferat, das journalistische Praktika für Studierende in Medienbetrieben sowie in Werbung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit vermittelt und das der Verbindung zur Medienpraxis dient. Zahlreichen Absolventen öffnet sich damit der Einstieg in Kommunikationsberufe. Ende Februar 2006 geht er in den Ruhestand.

Stuibers wissenschaftliches Verständnis von Kommunikationswissenschaft entwickelt sich aus seiner Nähe zu Franz Ronneberger, einem Repräsentanten der sozialwissenschaftlichen Wende ab Mitte der 1960er Jahre. Sie ist für ihn eine Soziologie der Massenkommunikation. Stuibers Verständnis zufolge sind Kommunikationsprozesse in der Gesellschaft mit Blick auf ihre gesellschaftlichen und politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungsfelder hin zu analysieren und darzustellen und soziales Verhalten zu erklären. Grunddimensionen und -funktionen massenkommunikativer Leistungen sind für ihn soziale und politische Orientierung (vor allem auch in der lokalen Massenkommunikation). Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen zunächst auf den Fachgebieten Kommunikationspolitik, Lokalkommunikation (Print, Funk) und Rundfunk, im Weiteren auf Journalismus, Public Relations und Medienökonomie. Seine Forschungsarbeiten und Publikationen sind zu einem erheblichen Teil vor dem Hintergrund medienökonomischer Vorgänge und kommunikationspolitischer Entscheidungen und Maßnahmen zu sehen. In den 1960er und 1970er Jahren sind es vorwiegend Arbeiten, die im Kontext der damaligen Debatte um Pressekonzentration und Printmonopole entstehen: Arbeiten über das (lokale) Pressewesen. In den 1980er und 1990er Jahren folgen, vor dem Hintergrund der Zulassung privaten Rundfunks (1984) in Deutschland, vorwiegend Studien über den lokalen Hörfunk.

Generell gilt dem Rundfunkwesen Stuibers vergleichsweise größeres Interesse. Eine Rolle dafür spielt auch sein nebenberufliches Wirken als Geschäftsführer der Mittelfränkischen Medienbetriebsgesellschaft, Region 7; es bietet ihm die Möglichkeit, unter dem Dach der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien  (BLM) privaten Rundfunk (kommunikations-)politisch mitzugestalten. So entsteht Mitte der 1990er Jahre seine umfassende, in zwei Bänden erschienene Veröffentlichung „Medien in Deutschland II: Rundfunk“, Stuibers zweifellos wichtigste Publikation (1997). Sie enthält gegen den wissenschaftlichen Mainstream (Stichwort: öffentlich-rechtlicher Rundfunk) gerichtete, kritische Ausführungen und Anmerkungen zur Regelungsdichte der deutschen Rundfunkpolitik mit einer deutlich erkennbaren Position für den privatwirtschaftlich-kommerziell organisierten Rundfunk. Staatlichen Regelungssystemen im Medienbereich sollten Stuiber zufolge in demokratischen Systemen enge Grenzen gesetzt werden. Die 1998 erschienene Publikation, eine umfassende, detailreiche und fundiert erarbeitete ‚Medienlehre Rundfunk‘, gibt Entwicklung und Stand des Rundfunkwesens in Deutschland von seinen Anfängen 1923 bis zur Mitte der 1990er Jahre facettenreich wider. Die digitalen Veränderungen im Medienwesen, die auch auf Radio und Fernsehen durchschlagen, werden darin angesprochen. Das Standardwerk ist nach wie vor ein ergiebiges und nützliches Nachschlagewerk zum Thema Rundfunk in Deutschland, u.a. insbesondere auch für Studierende der Kommunikationswissenschaft

Nicht zuletzt sind Stuibers Publikationen zum Journalismus zu erwähnen. Sie befassen sich, entstanden vorwiegend Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre, zum einen kritisch mit Ethik und Verantwortung im Journalismus  -  dies mit Blick und Bezugnahme auf Medienskandale sowie Fehlleistungen und Fehlverhalten von Journalisten an Beispielen wie den Hitler-Tagebüchern, der Barschel-Pfeifer-Affäre, dem Geiseldrama von Gladbeck/Köln u.a.m. An Art und Weise der Berichterstattung zahlreicher Medien entzündete sich Kritik damals vor allem bezüglich des sich über mehrere Tage erstreckenden Gladbeck/Kölner Entführungsdramas, bei dem Journalisten sich ins Geschehen einmengten und sich zu (Mit-)Akteuren machten. In diesem Kontext spricht Stuiber u.a. die Problematik an, dass der Journalismus keine klassische Profession mit geregelter formaler Ausbildung (sondern im Prinzip frei zugänglich) ist und ein Berufsbild fehlt. Insofern sei es schwierig, verbindliche Berufsnormen in Form einer Berufsethik zu erlassen. Allenfalls können dies mehr oder weniger verbindliche, freiwillige Kodizes sein (und Freiwillige Selbstkontrollorgane, wie es sie zahlreich für nahezu alle Medien gibt – H.P.). Zum anderen greift Stuiber damals Herausforderungen auf, die dem Journalismus selbst sowie dem Publikum aus der ständig steigenden Informationsfülle in der Computergesellschaft erwachsen. Er ist damals (noch) einer der eher wenigen, die sich mit Unterhaltungsjournalismus befassen, dem trotz seiner Bedeutung für das Publikum lange Zeit vergleichsweise eher wenig Beachtung zuteil wurde).

Dem Journalismus generell stand Stuiber, der „bekennende Nicht-Journalist“ (Meyen) im persönlichen Diskurs kritischer gegenüber, als dies in seinen Veröffentlichungen teils zum Ausdruck kommt. Mit Skepsis sah er die kommunikationswissenschaftliche Journalistenausbildung; die Verzahnung von Theorie und Praxis hielt er nicht wirklich für möglich (was man freilich auch anders sehen kann und muss). Gleichwohl schien ihm eine abgeschlossene akademische Ausbildung sehr wichtig: Es sei mit Blick auf die Ausbildung für Kommunikationsberufe gleichgültig, so Stuiber, mit welchen Themen man sich befasst; man müsse nur dabei lernen, in Alternativen zu denken und die Dinge gegen den Strich zu bürsten. Das sei das wichtigste überhaupt.

Neben seinem Wirken an der Universität nahm Stuiber zahlreiche Aktivitäten im Umfeld von Wissenschaft, Medien, Politik und Kultur wahr. So war er u.a. langjähriger Referent beim Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bis 1983) und Sekretär der Fränkischen Gesellschaft für Politik- und Zeitgeschichte  (bis 1985). Er war viele Jahre Geschäftsführender Vorstand der Kommunikationswissenschaftlichen Forschungsvereinigung e.V. (Nürnberg) und Verantwortlicher Herausgeber der Kommunikationswissenschaftlichen Studien (vormals Nürnberger Forschungsberichte). Neben seinen Mitgliedschaften im Beirat der Multimedia Akademie Nürnberg GmbH, im Programmausschuss der AfK Aus- und Fortbildungs-GmbH für elektronische Medien sowie im Verwaltungsrat des MedienCampus Bayern e.V. nahm er die Geschäftsführung des Medienvereins Mittelfranken sowie der Bayerischen Medienservice GmbH wahr.  

Aus meiner Nähe zu Stuiber konnte ich auch dessen private Seite kennenlernen. Er mochte klassische Musik aller Epochen, auch die zeitgenössische, sofern sie tonal blieb. Er konnte sich für die Performance Michael Jacksons begeistern, auch für Jazz und Blues. Er war der Kulinarik zugetan, besonders der italienischen. Golfspielen verschaffte ihm Entspannung, Ausgleich und spielerischen Zeitvertreib. Stuiber konnte sehr gesellig sein. Er war ungeduldig, wenn ihm etwas nicht rasch genug ging. Er war ein streitbarer Mensch, der kritischen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg ging. Er war von verblüffender Offenheit und Direktheit - manche unbedachte kritische Äußerung bekam ihm aber selbst nicht gut. Stuiber kämpfte immer mit offenem Visier – beruflich wie privat. Ränkespiele mochte er nicht. Innere Freiheit und Prinzipientreue waren ihm wichtig, Eitelkeit war ihm in jeder Hinsicht fremd. Mit seiner schweren Krebserkrankung ging er offen und demütig um.

Er ist ihr am 23. Juni 2019 in den frühen Morgenstunden erlegen.

Literatur

Der Beitrag basiert auf meinen Ausführungen aus: Pürer, Heinz (2001): 60. Geburtstag von Heinz-Werner Stuiber. In: Publizistik 46, Heft 1, S. 70-72.

Meyen, Michael (2017): Heinz-Werner Stuiber. In: Meyen, Michael; Wiedemann, Thomas (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015. http://blexkom.halemverlag.de/heinz-werner-stuiber/(30.06.2019)

Noelle-Neumann, Elisabeth; Ronneberger, Franz; Stuiber, Heinz-Werner: Streitpunkt lokales Pressemonopol. Untersuchungen zur Alleinstellung von Tageszeitungen. Düsseldorf: Droste.

Pürer, Heinz (2006): Heinz-Werner Stuiber 65 Jahre. In: Publizistik 50, Heft 4,, S. 476.

Stuiber, Heinz-Werner (1975): Kommunikationsräume der lokal informierenden Tagespresse. Pressestatistische Typenbildung und raumstrukturelle Analyse. Universität Nürnberg-Erlangen.

Stuiber, Heinz-Werner (1978): Zu den Funktionen der Massenkommunikation: Politische und soziale Orientierung als Grunddimension massenkommunikativer Leistungen. In: Rühl, Manfred; Walchshöfer, Jürgen (Hrsg.): Politik und Kommunikation. Nürnberg: Kommunikationswissenschaftliche Forschungsvereinigung, S.211–235 (226).

Stuiber, Heinz-Werner (1980): Der Leser in der Provinz. Kommunikationsstrukturelle Bedingungen und Zusammenhänge. In: Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.): Lokalkommunikation. Analysen, Beispiele, Alternativen. München: Ölschläger, S. 145-153.

Stuiber, Heinz-Werner (1988): Unterhaltungsjournalismus – Profile und Entwicklungschancen. Nomos, S. 167-179. [Medientage München ‚88 – Dokumentation Bd.1, hrsg. von Hans Kreile].

Stuiber, Heinz-Werner (1989): Das Informationsverhalten jugendlicher Zeitungsleser.

Ein empirischer Befund zum Verhältnis der verschiedenen Jugendlichen-Gruppen zur Regionalpresse. Rothenburg an der Tauber: Verlag Peter

Stuiber, Heinz-Werner (1990): Distanzverlust. Journalismus zwischen Information, Sensation und Ideologisierung. Nomos. S. 282-289. [Medientage München ‚89 – Dokumentation, Bd.2, hrsg. von Hans Kreile]  

Stuiber, Heinz-Werner (Hrsg.) (1991): Journalismus: Anforderungen, Berufsauffassungen, Verantwortung. Eine Aufsatzsammlung zu aktuellen Fragen des Journalismus. Nürnberg; Kommunikationswissenschaftliche Forschungsvereinigung.

Stuiber, Heinz-Werner (1992). Theorieansätze für Public Relations - Anmerkungen aus sozial-wissenschaftlicher Sicht. In: Avenarius, Horst; Armbrecht, Wolfgang (Hrsg.): Ist Public Relations eine Wissenschaft? Opladen: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 207–220.

Stuiber, Heinz-Werner (1998): Medien in Deutschland II: Rundfunk. 2. Bände. Konstanz: UVK.

Heinz-Werner Stuiber (2007): Freiräume für ungewöhnliche Menschen. In: Meyen, Michael; Löblich Maria): „Ich habe dieses Fach erfunden“. Wie die Kommunikationswissenschaft an die deutschsprachigen Universitäten kam. 19 biografische Interviews. Köln: Herbert von Halem S. 360-374.